Vom Hören zur Soundcomposition

Hörbare Umwelten

Hören fällt dem Menschen leicht – vorausgesetzt, sein Hörorgan ist intakt und wird nicht in seiner Funktion beeinträchtigt. Die Ohren sind somit dem permanenten Einfluss von Hörreizen ausgesetzt (Schafer 1988). Unfreiwillig oder freiwillig, unbewusst oder bewusst wird der Mensch dadurch Zeuge eines jeden Ereignisses um sich herum, welches ein Geräusch oder einen Klang von sich gibt. (Hagen 2006). Zahlreiche Forscher, Pädagogen und Komponisten, allen voran der Kanadier R. Murray Schafer, entwickelten eine neue Art des bewussten Wahrnehmens der Umwelt über das Hören – den sound walk oder auch listening walk, der ein uneingeschränktes und konzentriertes Hören von Klängen und Geräuschen aus der unmittelbaren Umgebung des Menschen eröffnet.(Westerkamp 2007).

Der kanadischer Komponist, Hörforscher und Hörpädagoge R.Murray Schafer prägte Ende der sechziger Jahre den Begriff der soundscape und beschreibt sie als akustische Hülle, die den Menschen umgibt (Schafer & Breitsameter 2010). Sie verbindet so Musik, Sprache und nonverbale Klänge zu einer gemeinsamen, den Menschen umgebenden Klangwelt.

Bei der Erkundung der soundscaes wird zwischen sound walks (Klangspaziergängen) und listening walks (Hörspaziergängen) unterschieden. Bei den Hörspaziergängen (Listening walks) liegt die volle Konzentration auf dem Wahrnehmen alles umgebender sounds (Schafer & Breitsameter 2010),bei den sound walks wird die Aufmerksamkeit auf gezielte akustische Phänomene in der Umgebung gelenkt. Schafer versteht  die Welt als eine Komposition mit ihren Geräuschen und Klängen mit dem Menschen in der Rolle als Mitproduzent, Hörer und Komponist. Der Mensch kann also aktiv auf die Klänge der Welt Einfluss ausüben und diese zu seinen Gunsten verändern, kann sie orchestrieren und verändern. (Schafer 1988). Diese Veränderung und Verarbeitung der Höreindrücke findet in den soundcompositions statt. Soundcompositions sind in vielen Facetten möglich. Es kann eine konkrete zum Beispiel instrumentale oder vokale Nachgestaltung der Höreindrücke sein bin hin zur elektroakustischen Neugestaltung mit Live Performance.

Hören und Musik erfinden in der Schule

Besonders empfehlenswert für den Einsatz in der Schule ist der Hörspaziergang durch seine Variabilität und gleichzeitige Einfachheit. Die alltägliche Umgebung wird durch einen kleinen, zufälligen Ausschnitt greifbar und prägt auf Dauer das Zuhörverhalten der SuS. Darüber hinaus bildet der Hörspaziergang mit seinen Hörerlebnissen in der Weiterverarbeitung eine wichtige Inspirationsquelle für kreative Prozesse beim Musik erfinden.

Die sinnliche Erfahrung ist bei dem erfinderischen, musikalischen Umgang mit Höreindrücken die Grundlage und ermöglicht so die Umsetzung auch in sehr heterogenen Schülergruppen. Das Hören als Ausgangspunkt für kreative und performative musikalische Prozesse bietet allen SuS die Teilnahme, es ist voraussetzungslos und ermöglicht im kreativen Prozess die Umsetzung nach den individuellen Möglichkeiten.

Vorbereitende Hörübungen helfen den SuS auf Details beim Hören zu achten und diese korrekt zu analysieren, damit Klänge differenzierter wahrgenommen werden. Unter die vorbereitenden Maßnahmen fallen auch Orientierungsübungen, falls der Hörspaziergang mit geschlossenen Augen durchgeführt wird. In diesem Fall müssen sich die SuS auf ihr Gehör verlassen, da der sonst stärkste Sinn – der Sehsinn – ausgeschaltet ist.

Hörspaziergänge können mit offenen oder geschlossenen Augen durchgeführt werden. Im Projekt wurde der Hörspaziergang aus Gründen der Organisation und Verantwortung auf Lehrerseite mit offenen Augen durchgeführt.

Noch intensiver wird ein listening walk mit geschlossenen Augen. Dabei wird ein SuS mit geschlossenen oder verbundenen Augen von einem  Partner als sehende Vertrauensperson durch die Umgebung geführt. Nach der Hälfte der Zeit wechseln die Partner ihre Rollen. Entscheidend für das Erlebnis ist das Stillsein, das Nicht-Sprechen, Nicht-Flüstern bei der Durchführung. Diese Variante erfordert das Kennen und Deuten können von Bewegungssignalen und ein hohes Maß an gegenseitiger Achtsamkeit, Verantwortungs-bewusstsein und Vertrauen. Das sprachliche Bewusstmachen nach dem Hörspaziergang ermöglicht den SuS, ihre Höreindrücke  besser verarbeiten und einordnen zu können. Die erlebte Klanglandschaft wird in eine soundmap, eine Klangkarte, eingetragen. So kann genau nachvollzogen werden, wo welcher Klang gehört wurde. Die Karte kann als Vorlage für die sound composition der SuS verwendet werden.

Alternativ können die Höreindrücke auch graphisch, bildnerisch oder mit anderen Symbolen veranschaulicht werden. In den nachfolgenden Bausteinen ist wird immer wieder Bezug zur bildnerischen Variante hergestellt.

Alle Höreindrücke und musikalischen Umsetzungen können elektronisch aufgezeichnet werden, sodass die Eindrücke später bearbeitet oder weiter reflektiert werden können.

Die beiden Bausteine des Moduls sind in Anlehnung an die Phasen kreativer Prozesse als aufeinander aufbauende Verläufe konzipiert.

 

Literatur

  • Akbari, E. (2016). Soundscape Composition for Art Classrooms. Art Education
  • Bernius, V. (2000). Schule des Hörens – ein Lehrgang der hessischen Lehrerfortbildung. In: Huber, Ludowika (Hg.): Zuhören – Lernen – Verstehen. Braunschweig: Westermann. (Praxis Pädagogik),
  • Hagen, M. (2006). Förderung des Hörens und Zuhörens in der Schule. Göttingen: Edition Zuhören. Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Hagen, M., Kahlert, (.o.J). Zuhören macht Schule. Ludwigshafen: Stiftung Medienkompetenz Forum Südwest (MKFS)
  • Heyne, H. (2009). Klänge aus der Natur – Akustische Ökologie und das Spiel mit elementaren Musikinstrumenten. Klein- Basedow: Drachen Verlag GmbH
  • Huber, L., Kahlert, J.,Klatte, M. (Hrsg.). (2002). Die akustisch gestaltete Schule-auf der Suche nach dem guten Ton. Göttingen: Edition Zuhören. Vandenhoeck & Ruprecht .
  • Kahlert, J. (2000). Der gute Ton in der Schule: Überlegungen zum pädagogischen Stellenwert des Zuhörens in der akustisch gestalteten Schule In: Huber, Ludowika (Hrsg.). Zuhören – Lernen – Verstehen. Braunschweig: Westermann.
  • Zill, E. (2016). Den eignen Ohren folgen. Berlin: LiT
  • Schafer, R. M. (1988a). The thinking ear: Complete writings on music education. Indian River, Ontario, Canada: Arcana Editions.
  • Schafer, R. M. (2002). Anstiftung zum Hören: Hundert Übungen zum Hören und Klänge machen. Aarau: Nepomuk.
  • Schafer, R. M. (1988b). Klang und Krach. Frankfurt am Main: Athenäum.
  • Schafer, R. M., Breitsameter, S. (Hrsg.). (2010). Die Ordnung der Klänge: Eine Kulturgeschichte des Hörens. Mainz: Schott.
  • Werner, H. U. (2006). Soundscape Dialog- Landschaften und Methoden des Hörens. Göttingen: Edition Zuhören, Vandenhoeck&Ruprecht.
  • Westerkamp, H. (2007). Soundwalking. In: Carlyle, Angus (Hrsg.). Autumn leaves: Sound and the environment in artistic practice. Paris, France: Association Double-Entendre in association with CRISAP, 49.
  • Winkler, J. (2002). Still! Es rauscht die Welt: Individuelle Orientierung in der Klanglandschaft der Gegenwart In: Bernius, Volker (Hrsg.): Ganz Ohr: Interdisziplinäre Aspekte des Zuhörens. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Winkler, J. (2006). Umwelthören – Instrumente für eine „kunstlose Kunst“. In: Bernius, Volker, u.a. (Hrsg.). Der Aufstand des Ohrs: Die neue Lust am Hören. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Winkler, J. (2011). Listening Walks – Hörspaziergänge: Mitschnitte und Mitschriften 1992-2011.